Der "Große Ritter-Preis"

Ende der 60-er Jahre versucht der RV Sturmvogel 25 Dortmund eine weitere Radveranstaltung in Dortmnund zu etablieren. Die Umsetzung der vielen Ideen der damaligen Vereinsführung erfordert jedoch in jedem Fall einen oder mehrere Sponsoren, da bedeutende Radrennen nun einmal nicht allein aus dem Vereinstopf finanziert werden können. Bei der Suche wird man auf die Dortmunder Ritter-Brauerei - später Union-Ritter-Brauerei bzw. Brauerei Brinkhoff - aufmerksam, weil es sich damals wie gegenwärtig um ein großes und dem Sport stets verbundenes Unternehmen handelt. Erich Bautz, Karl Krommes , Feliy Kirschey und Willy Kramps nehmen erste Kontakte mit der Geschäftsleitung auf. Zwar stoßen die ersten Anfragen nicht sofort auf Interesse, doch je länger man sich über die Chance für den Sport und den beiderseitigen Nutzen unterhält, desto mehr kommt man sich in der Sache näher. Im Ergebnis bedeutet dies, daß erstmals die Union-Ritter-Brauerei ein Gentleman-Rennen, das der RV Sturmvogel in Dortmund-Holzen ausrichtet, unterstützt. Gentleman-Rennen sind zu dieser Zeit, wie heute die Wettbewerbe der Senioren, durchaus attraktive Veranstaltungen, bekommt man doch als Zuschauer nicht nur hervorragende Leistungen geboten, sondern auch die Asse früherer Jahre wieder zu Gesicht. Der Erfolg der Radrennen in DO-Holzen überzeugt die Entscheidungsträger der Union-Ritter-Brauerei. Sie geben ihre Zusage, ein weiteres Konzept des RV Sturmvogel 1925 Dortmund zu unterstützen. So steigt man im Verein noch im gleichen Jahr in die Planungen für eine Veranstaltung ein, die im Jahre 1969 erstmals ausgerichtet wird. der "Große Ritter-Preis" ist geboren.

Die erste Austragung entscheidet der Mannheimer Jürgen Tschan für sich. Tschan, später als Profi bekannt geworden und 1977 gemeinsam mit Dietrich Thurau Sieger im Dortmunder Sechstagerennen, gewinnt das über 80 Kilometer führende Rennen vor Rainer Podlesch, der danach bei den Amateuren  Weltmeister der Steher wird. Die Siegerzeit beträgt 1:49:34 Stunden, was einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 43,6 km/h entspricht. Schon nach der ersten Austragung erkennt der Bund Deutscher Radfahrer die Qualität der Strecke des "Großen Ritter-Preises". Es handelt sich nämlich um einen ausgesprochen selektiven Rundkurs, der alle Fähigkeiten eines Straßenrennfahrers fordert. Leichte Rennen hat es beim Ritter-Preis nie gegeben. Stets haben sich nur die Besten durchgesetzt. Und so wird es alle Zeit bleiben, denn abgesehen von geringfügigen Änderungen ist der "Ritter-Kurs" bis heute beibehalten worden. Ab 1970 werden die Rennen vor den Toren der Union-Ritter-Brauerei als sogenannte Wertungsrennen des Bund Deutscher Radfahrer ausgetragen. Die Wertungsrennen bilden für den Bundestrainer die Grundlage zur Nominierung in den Kader der deutschen Nationalmannschaft. Allein hieran erkennt man schon den Stellenwert des vom RV Strumvogel 1925 Dortmund ausgerichteten Wettbewerbs. Bis einschließlich 1973 trifft sich die Radsport-Elite in Dortmund-Lütgendortmund, um sich auf dem "Ritter-Kurs" für den Nationalkader zu empfehlen. 1972 ist der "Große-Ritter-Preis" sogar Vorbereitungsrennen für die Teilnehmer an den Straßenwettbewerben bei den Olympischen Spielen in München. Selbstverständlich kann die zu fahrende Distanz von 80 Kilometern nicht beibehalten werden. Nach der Erstaustragung steigert sich daher in den nächstenJahren die Renndistanz auf bis zu 180 Kilometer. Vordere Plätze belegen Fahrer wie Dieter Koslar, heute sportlicher Leiter und Lenker des GS II Teams Cologne, und Peter Weibel, der seit geraumer Zeit als äußerst erfolgreicher Nationaltrainer beim Bund Deutscher Radfahrer engagiert ist.1973 gewinnt Klaus-Peter Thaler den Ritter Preis und ein Jahr später kann sich Dietrich Thurau als Zweitplazierter in die Siegerlisten eintragen. Beide Rennfahrer sorgen in den weiteren Jahren als Profisportler für Furore. Ihre Erfolge im einzelnen aufzulisten würde allein eine Festschrift füllen. Jedem Sportinteressierten sind aber sicherlich die tollen Tage des "Didi" Thurau während der Tour de France 1977 in Erinnerung, wo er als Newcomer 15 Tage das Gelbe Trikot trägt und mehrere Etappen für sich entscheiden kann. Auch Klaus-Peter Thaler erobert das so begehrte "Maillot Jaune" und kann sich als Etappensieger in dem wohl härtesten Rennen feiern lassen.

Anläßlich des 50-jährigen Jubiläums des RV Sturmvogel 1925 Dortmund erinnert sich der Bund Deutscher Radfahrer auch an die stets ausgezeichnete Organisation beim "Großen-Ritter-Preis", für die der RV Sturmvogel und die Union-Ritter-Brauerei verantwortlich zeichnen. So kommt es, daß 1975 eine Deutsche Meisterschaft nach Dortmund vergeben wird. Es sind die Amateure, die am 13. Juli auf dem "Ritter-Kurs" um den Titel des Deutschen Meisters im Einerstraßenfahren kämpfen. Vor der nahezu prächtigen Kulisse von 40.000 Zuschauern gewinnt mit Wilfried Trott derwohl erfolgreichste Radamateur der Bundesrepublik Deutschland die Meisterschaft. Die 180 km schafft Trott in einer Zeit von 4:36:05 Stunden.

Später macht ein Fahrer auf sich aufmerksam, der im RV Sturmvogel groß geworden ist und hier auch erste erfolge feierte. Peter Kehl, mittlerweile für Sturm Dortmund-Hombruch startend, schafft 1977 einen dritten Rang, um gleich im Folgejahr den Sieg im "Großen-Ritter-Preis" davonzutragen. Wird Peter Kehl 1977 von einem Niederländer und einem Belgier geschlagen, kann er bei seinem Sieg 1978 einen Norweger und einen Österreicher hinter sich lassen. Schon zu dieser Zeit avanciert der Ritter-Preis also zu einem internationalen Wettbewerb. Es sind somit nicht nur die nationalen Eliten, sondern auch immer wieder ausländische Spitzenfahrer, die versuchen, sich beim Ritter-Preis in Szene zu setzen, da ein Sieg in diesem Straßenrennen schon einen großen Stellenwert in den "Palmares" eines Rennfahrers besitzt.

1981 gewinnt Janusz Bienik aus der Vorläufermannschaft des heutigen GS II Teams Nürnberger den Ritter-Preis. Es ist in diesem Jahr ein Wertungsrennen zum sogenannten "Grünen Band". Zur Gesamtwertung des "Grünen Bandes" zählen mehrere hochkarätige Straßenrennen in der Bundesrepublik - zumeist echte Klassiker des Straßenrennsports. Der Bund Deutscher Radfahrer versucht mit Unterstützung der Dresdner Bank - deshalb "Grünes Band" - den wirdlich stärksten Straßenfahrer einer Saison zu ermitteln. Auch der "Große-Ritter-Preis" wird zu diesen auserwählten Wettbewerben gezählt. In der Folgezeit stehen beim Ritter-Preis Rennfahrer auf dem Podium, die dann später zu echten Spitzenfahrern heranreifen, was dann wohl auch für die Klasse des vom RV Sturmvogel ausgerichteten Radrennens spricht. 1983 belegt der junge Bernd Gröne einen dritten Rang. 1988 soll der gleiche Bernd Gröne bei den Olympischen Spielen in Seoul die Silbermedaille im Straßenfahrer erringen und dann kurz zu den ersten Fahrern des Teams Stuttgart gehören, aus welchem dann bekanntlich das Team Telekom hervorgeht. 1984 belegt beim Ritter-Preis ein Fahrer den zweiten Platz, der maßgeblichen Anteil an der Leistungsexplosion des Teams Telekom hat. In Fachkreisen ist man sogar der Meinung, daß dieser Mann mit seiner ungeheuren Erfahrung die Professionalität in des Team Telekom gebracht hat und Jan Ullrich ein wertvoller Lehrmeister gewesen ist. Richtig, es ist von keinem geringeren als dem Sieger der Tour de France 1996 die Rede: Bjarne Rijs. 1985 ist eine der schillerndsten Figuren des deutschen Radsports Sieger des Ritter-Preises. Man nennt ihn auch "Mike - the bike". Neben seinen zahlreichen Erfolgen auf der Straße wird Mike Kluge in seiner Laufbahn allein dreifacher Weltmeister im Querfeldeinfahren. Er ist es auch, der den heute so populären Mountain-Bike-Sport in Deutschland etabliert. Mit seiner "Berliner Schnauze" schafft sich Mike Kluge insbesondere in Funktionärskreisen nicht immer Freunde, ist aber dafür bei den Sportlern und Radsportfans gerade wegen seiner direkten und offenen Art ungeheuer beliebt. Ein nicht weniger bekannter Fahrer wird 1987 Dritter im "Großen-Ritter-Preis". Nicht nur in Radsportkereisen zählt der Ausspruch "Quäl dich, du Sau!" zur Geschichte der Tour de France 1997, als mit Jan Ullrich der erste Deutsche die Frankreich-Rundfahrt gewinnt. Udo Bölts ist der "Poet", der diese Zeilen so trefflich formuliert hat. Also auch Udo Bölts, der Kämpfer des Teams Telekom und damals noch im Trikot von Olympia Dortmund fahrend, hat versucht, den Sieg vor den Toren der Union-Ritter-Brauerei einzufahren.

1988 folgt das nächste Highlight inDortmund-Lütgendortmund. Nach dem "Grünen Band" macht es der Bund Deutscher Radfahrer anderen Sportarten nach. Es wird eine Bundesliga ins Leben gerufen. Wieder wird eine Auswahl von schweren Straßenrennen in der Bundesrepublik getroffen, dessen Platzierte Punkte für die Bundesliga-Wertung bekommen. Am Ende der Saison wird dann der Fahrer und die Mannschaft mit den meisten Punkten geehrt. Die Siege in der Bundesliga sind heiß begehrt, bedeuten sie doch genügend Reputation, um den Einstieg in den Profisport zu schaffen. Und wieder befindet sich der "Große Ritter-Preis" 1988 unter den auserwählten Straßenrennen. Es wird in diesem Jahr sogar das Finale der Bundesligaserie in Dortmund ausgetragen. Die Zuschauer und alle Beteiligten werden nicht enttäuscht. Mit Jochen Görgen gewinnt wieder ein Fahrer des heimischen Rennstalls Olympia Dortmund. Viele Rennfahrer, die später zur Spitze des internationalen Radsports aufsteigen, verdienen sich beim Ritter-Preis erste Meriten. Ein Blick in die Siegerlisten des Jahres 1991 bestätigt dies wieder einmal vortrefflich. Ist es nicht ein Fahrer der Mannschaft Rabobank, der in der diesjährigen Tour de France gleich drei Etappen für sich entschieden hat? Wegen seiner couragierten Fahrweise wird dieser Athlet auch als aktivster Fahrer ausgezeichnet, was ihm gleichzeitig den Sieg in der Kombinationswertung einbringt. Genau dieser Erik Dekker siegt 1991 zunächst einmal beim Ritter-Preis.

Der Strukturwandel im internationalen Radsport verschont aber auch nicht den RV Sturmvogel 1925 Dortmund und den von ihm ausgerichteten "Großen Ritter-Preis". Der internationale Radsportverband Union Cycliste Internationale (UCI) hebt 1996 die Trennung von Amateuren und Profis auf. Es werden neue Kategorien geschaffen. So werden fortan nur noch Fahrer mit Verträgen bei Sportgruppen und solche ohne Verträge, sogenannte Elite-Fahrer bzw. Rennfahrer unter 23 Jahren, voneinander getrennt. Gleichzeitig werden weltweit alle Radrennen in Wertungskategorien eingeteilt und den Platzierten der jeweiligen Radrennen je nach Wertungs-kategorie eine bestimmte Punktzahl für die Weltrangliste der UCI zugeschrieben. Auch der RV Sturmvogel widersetzt sich nicht der Entwicklung im Radsport. In dem Bestreben den Zuschauern stets erstklassigen Sport zu bieten, schaffen die Verantwortlichen des RV Sturmvogel die notwendigen Voraussetzungen, damit der Radsport-Weltverband den Ritter-Preis als Wertungsrennen für die Weltrangliste einstuft. Und so kommt es, daß 1996 erstmals Profisportler - richtig müßte es seit der Umstrukturierung "Fahrer mit Sportgruppenvertrag" heißen - beim "Großen Ritter-Preis" an den Start gehen. Eric de Clerq aus dem belgischen Team Collstrop ist dann der erste Berufssportler, der den Zielstrich vor der Union-Ritter-Brauerei als Sieger überquert. Seine Zeit beträgt für die 162 km 3:50:50 Stunden.

Den ersten Ritter-Preis im neuen Jahrtausend entscheidet der "Sportgruppenfahrer" Klaus Mutschler aus dem Team Coast, der für die 175 km eine Zeit von 4:01:20 Stunden benötigt und damit fast exakt die gleiche Durchschnitts-geschwindigkeit von 43,6 km/h erreicht, wie der Sieger des ersten Ritter-Preises bei einer Distanz von 80 Kilometern. Erfolgreichste Mannschaft bei den bisher 32 Austragungen des "Großen Ritter-Preises" ist die Equipe Olympia Dortmund, die allein sechs Mal den Sieger stellt und 1987 das Kunststück schafft, mit Fahrern ihres Teams alle Podiumsplätze zu belegen. Bezeichnend für die Schwere des Wettbewerbs und für die Tatsache, daß viele Rennfahrer hier unbedingt den Sieg erringen wollen, ist, daß es bisher nur zwei Rennfahrern gelungen ist, den "Großen Ritter-Preis" mehrmals für sich zu entscheiden. Wilfried Trott und Jochen Görgen sind die Glorreichen, die jeweils zwei Austragungen als Sieger beendet haben. In der langen Geschichte dieses Wettbewerbs hat es aber noch kein Rennfahrer geschafft, die Siegestrophäe dreimal in Empfang zu nehmen.

Daß der "Große Ritter-Preis" nicht nur für Rennfahrer eine besondere Attraktion ist, läßt sich schon daran festmachen, daß diese Veranstaltung bisher immer auch Prominenz aus allen gesellschaftlichen Bereichen wie Sport, Wirtschaft, Kultur und Politik zur Union-Ritter-Brauerei gezogen hat. Den Zuschauern des Ritter-Preises werden neben dem Radrennen auch Musik und Show sowie verschiedene Ausstellungsstände geboten. Selbstverständlich ist stets für das leibliche Wohl aller gesorgt. Dabei dürfte wohl jedem klar sein, daß auf dem Gelände der Union-Ritter-Brauerei ein Bier gezapft wird, welches frischer wohl kaum sein kann. Dies alles wird neben dem eigentlichen Radrennen durch die Mitglieder der RV Sturmvogel 1925 Dortmund bewältigt. Die Wettbewerbe selber weisen nicht selten Starterfelder von bis zu 200 Rennfahrern auf, die dann auch von einer Vielzahl Begleit- und Mannschaftfahrzeugen eskortiert werden. Ein gewisser "Tour de France-Charakter" in Dortmund -Lütgendortmund läßt sich nicht verhehlen.